Christiane Karg: Amoretti

Christiane Karg: Amoretti

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Christiane Karg ist eine Macherin. Fernab jeder Divenhaftigkeit konzentriert sie sich auf ihre Vorstellung von Musik und setzt diese konsequent um. Bestes Beispiel dafür ist ihre zweite Solo-CD, die unmittelbarer Nachfolger der mit dem ECHO Klassik ausgezeichneten „Verwandlung – Lieder eines Jahres“ von 2010 ist. Christiane Karg verwandte mehr als zwei Jahre auf das Projekt, wühlte sich durch Bibliotheken, hörte verschiedenste Aufnahmen und stellte sich so ihr Wunschprogramm für „Amoretti“, eine CD mit Arien zum Thema Liebe, zusammen. Damit aber noch nicht genug: Sie wählte auch Orchester, Dirigent und Aufnahmeort aus und ließ sich von der bekannten People-Fotografin Gisela Schenker für das Album ablichten. Ursprünglich war die Veröffentlichung bereits für Mai 2012 geplant, aber eine Perfektionistin wie Christiane Karg stört sich daran nicht: Erst wenn das Produkt vollständig ihren Vorstellungen entspricht, darf es auf den Markt.

Gesangliche Intrigen

Der große Aufwand hat sich zweifellos gelohnt. Die Sopranistin liefert ein Album ab, bei dem ausschließlich richtige Entscheidungen getroffen wurden. Christiane Karg konzentriert sich bei der Auswahl der Werke auf den Zeitraum einer Dekade und vereint die drei Komponisten Mozart, Gluck und Grétry auf einer CD. Dass Mozart bei der Komposition von „La finta semplice“ gerade einmal zwölf Jahre alt war, erstaunt den Hörer immer wieder aufs Neue. Die Arie „Amoretti“ der Rosina, in der sie die Liebesengel trotz ihrer Intrigen um Verschonung bittet, wurde zum Namensgeber für Christiane Kargs neues Album. Mit diesem innigen und stimmlich wunderbar ausgewogenen Einstieg beweist die Sopranistin gleich zu Beginn, dass Liebesengeln aller Art bei ihr nur das Dahinschmelzen bleibt.

Zum Schmelzen trägt das junge Ensemble Arcangelo bei, das 2010 von dem britischen Dirigenten, Cellisten und Cembalisten Jonathan Cohen gegründet wurde. Die Mitglieder von Arcangelo sind handverlesen und spielen sowohl auf historischen als auch modernen Instrumenten. Allen Musikern ist die Liebe zur Kammermusik gemein, für das neue Ensemble nehmen sie weite Anreisen in Kauf und stellen andere Projekte zurück. Jonathan Cohen ist zweifellos der Hauptgrund, denn seine Vorstellungen als Dirigent und seine weitreichenden Erfahrungen mit barocker und klassischer Musik prädestinieren ihn als innovativen, frischen und charismatischen Orchesterleiter. Ein Projekt im Rahmen der Glyndebourne Touring Opera 2010/11 hat Christiane Karg davon überzeugt, dass er mit seinem Ensemble genau der Richtige für die Amoretti-Aufnahme ist.

Mit Blitzen und Naturhorn

Der vorklassische Blitz schlägt dann bei „Comme un éclair“ aus Grétrys Oper „La Fausse Magie“ ein. Schon im dynamisch sehr differenzierten Vorspiel wird klar, dass sich der Komponist bereits von der oftmals schwülstigen Barockoper emanzipiert hat. Die flackernde und wieder erlöschende Hoffnung im Text der Arie wird von Christiane Karg meisterhaft in brillanten und klaren Koloraturen ausgedeutet. Tonmeister Adrian Peacock beweist hier sein Händchen für ein ausgewogenes Panorama, denn mit der Sopranistin als Mittelpunkt sind Continuo und hohe Streicher sehr natürlich klingend um sie gruppiert. Bei der Aufnahme selbst war Christiane Karg aus Gründen der optimalen Hörbarkeit für Orchester und Dirigent mittig in der letzten Orchesterreihe platziert. Der Tonmeister nutzte das hintere Drittel im Hauptchor für Orchester und Solistin in Saint Jude-on-the-Hill, einer bekannten Konzert- und Filmkirche in Hampstead Garden Suburb bei London.

„Lungi da te“ aus Mozarts Oper „Mitridate, re di Ponto“ war der Auslöser für Christiane Karg, ein Arienalbum zum Thema Liebe aufzunehmen. Für Freunde des Horns ist hier ein großes und wenig bekanntes Solo enthalten, das bei Arcangelo mit einem Naturhorn besetzt ist. Wer einmal diese Fassung erlebt hat, möchte eigentlich kein Ventilhorn mehr in diesem Stück hören. Die Sopranistin und Dirigent Cohen wählen ein eher bedächtiges Tempo, was die Arie des Sifare aber umso eindrücklicher macht. Christiane Karg hat die Fähigkeit, auch langsame Passagen stimmlich voll auszukosten und dringt in diesem Stück meines Erachtens tiefer noch als Cecilia Bartoli und Emma Kirkby in die Musik vor.

Zauberin auf dem wilden Meer

Drei Premieren machen das Album auch für Opernkenner zu einer Entdeckung: Zwei Arien von Grétry aus den Opern „Silvain“ und „Lucile“ sind neben einem Werk von Gluck Ersteinspielungen. In „Telemaco ossia L’isola di Circe“ widmet sich der Begründer der Opernreform im 18. Jahrhundert einem Familiendrama: Telemaco wird von seiner Mutter Penelope ausgesandt, um den Vater Odysseus zu finden und heimzubringen. Dabei gilt es, die Zauberin Circe zu überwinden, deren Arie „In mezzo a un mar crudele“ aus dem ersten Akt Christiane Karg darbietet. Gluck behandelt das melodische Element mit Priorität und stellt die Wildheit des Meeres mit einem durchlaufenden Bass und Sechzehntelketten dar, mal als Streicher-Tremolo, mal als Unisono-Skalen im ganzen Orchester. Die Sopranistin kann dabei ihre zupackende stimmliche Kraft und Leichtigkeit bei Koloraturen unter Beweis stellen. Es ist ein Vergnügen, Christiane Karg als Circe zu lauschen, wie sie als machtvolle Zauberin die Liebe erzwingen will, letztendlich aber scheitern wird. Eine makellose Beherrschung der Technik, Stilbewusstsein und feinsinnige Musikalität gestatten es der Sängerin, jede Art von Liebesengel mit musikalischem Bogen ins emotionale Mark zu schicken. Das zweite Album von Christiane Karg ist nach „Verwandlung“ ein weiterer großer Meilenstein in ihrer Karriere. Man darf gespannt sein, was sich die Sopranistin für das nächste CD-Projekt vornimmt. Der Vokal-Amoretto jedenfalls schießt steil nach oben.

Interview mit Christiane Karg: „Mozart ist einfach Perfektion!“

9. Februar 2012, St. Jude’s, Hampstead Garden Suburb, GB

Welchen Beruf hätten Sie ergriffen, wenn Sie nicht Sängerin geworden wären?

Ich wäre ziemlich sicher in die Gastronomie gegangen! Eventuell hätte ich mir auch ein Theologiestudium vorstellen können. Mit dem Gesang habe ich aber meinen Traumberuf gefunden, der sich durch viel Abwechslung auszeichnet.

Was steckt hinter Ihrem neuen Album „Amoretti“?

Als ich die Mozart-Arie „Lungi da te“ aus „Mitridate, rè di Ponto“ sang, habe ich mich in das Stück verliebt. Daraus entstand der Wunsch, eine CD mit Arien rund um das in der Oper ständig präsente Thema Liebe aufzunehmen. Neben dem frühen Mozart habe ich auch Gluck aufs Programm gesetzt und mit dem belgisch-französischen Komponisten Grétry eine wunderbare Neuentdeckung gemacht. Mein musikalischer Wunschpartner war Jonathan Cohen, den ich von einem Projekt her kenne. Nur mit ihm wollte ich dieses Unternehmen wagen, was glücklicherweise geklappt hat. Der Name des Albums rührt übrigens von der gleichnamigen Arie aus Mozarts Oper „La finta semplice“ her.

Ihr Begleiter, das Ensemble Arcangelo, spielt sowohl mit historischen als auch modernen Instrumenten. Welchen Stellenwert nimmt für Sie die historische Aufführungspraxis ein?

Zunächst muss man diese klug einsetzen, denn der Historismus alleine bringt es nicht. Die Hörgewohnheiten haben sich im Lauf der Zeit verändert, trotzdem muss das Stück schlüssig und stilgerecht interpretiert werden. Letztendlich zählen aber Gefühl und Musikalität, um eine Komposition zum Leben zu erwecken.

Wie singt es sich in der ungleichstufigen Stimmung mit dem etwas tieferen Kammerton?

Da wir auf A=430 Hz gestimmt haben, ist es für mich ein wenig entspannter zu singen. Gleichzeitig entsteht durch die Stimmung eine große Farbigkeit, die Instrumente können weicher und doch auch kantiger klingen, was mir sehr gefällt.

Wo sehen Sie bei Mozart, dem ein großer Teil der neuen CD gewidmet ist, das Geniehafte?

Mozart ist einfach Perfektion! Er schreibt einfach perfekt für die Stimme, je nach Alter und Reifegrad findet man als Sänger immer eine optimal passende Rolle. Es klingt oft einfach, ist in Wahrheit aber höchst komplex. Die Leichtigkeit ist das eigentlich Schwere bei Mozart.

Schreiben auch andere Komponisten so gesanglich wie er?

Mozart ist ohne Zweifel der Gesanglichste von ihnen. Händel, Strauss und Puccini sind aber auch sehr gut zu singen. Bach wiederum ist perfekt, liegt mir aber nicht ganz so gut wie die anderen genannten Komponisten.

Seit fast einem Jahrhundert erlebt der Konzertgänger eine Art Standardrepertoire. Wie grenzen Sie sich vom Mainstream ab und bringen die individuelle Note ein?

Ich versuche, Unbekanntes bekanntzumachen und Langeweile zu vermeiden. Die Abwechslung macht’s, das Publikum ist offener, als man denkt. Eine gesunde Mischung ist optimal, wobei schon einige bekannte Sachen dabei sein müssen.

Warum interessieren sich Ihrer Meinung nach nur wenig Kinder und Jugendliche für klassische Musik? Oder ist diese ausschließlich dem Bildungsbürgertum vorbehalten?

Nein, auf keinen Fall! Es liegt am Unwissen! In jedem Kind schlummert Begeisterung, man muss sie nur wecken. Das kann mit Musik, aber auch Sport oder anderem funktionieren. Man muss es aber wissen, und hier wird immer noch zu wenig getan.

Wie hören Sie Musik?

Ich bin sehr viel unterwegs und habe daher gar keine Anlage zuhause stehen. Mein mobiles Gerät hat gute Kopfhörer und wird von einer fruchtigen Firma hergestellt.

Ist die Sängerwelt, in der Sie sich aufhalten, nicht eine Kunstwelt?

Ja, sie ist wie jede andere Welt auch von der Selbstdarstellung der Individuen geprägt. Ein bisschen Touch von Hollywood ist wohl dabei. In der Öffentlichkeit muss man oft vorwiegend den Schein wahren, um sich selbst zu schützen.

Da Sie auch einer gastronomischen Karriere nicht abgeneigt waren: Verraten Sie Ihr Lieblingsgebäck?

Für die Ingwer-Stäbchen meiner Schwester würde ich sterben! Aber auch bei klassischem Hefeteig geht mir das Herz auf.

Text, Interview und Fotos der Aufnahmesitzung: Michael Rassinger
Fotos von Christiane Karg: Gisela Schenker

Author
Michael Rassinger
Datum
6. März 2013
Kategorie